Olivia Rodrigo Konzert: Trotz der inszenierten Rührseligkeit kein bisschen peinlich - WELT (2024)

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Panikschübe habe ich bei Konzerten bisher nie erlebt. Aber in diesem Moment in der Berliner Uber Arena bin ich doch – sagen wir – ein bisschen angespannt. Denn die junge Frau in Doc Martens, Netzstrümpfen und Pailletten-Glitzerrock dort unten auf der Bühne hat ihre 17.000 zum größten Teil weiblichen Fans gerade gefragt, ob jemand seine Mum oder seinen Dad mitgenommen habe. Derweil suchen Kameras schon mal die Zuschauerränge ab, auf einer großen Leinwand werden in Echtzeit Bilder von Vätern und Müttern mit ihren Töchtern gezeigt. Und irgendwo auf den Rängen stehe auch ich, 60, neben meiner 16-jährigen Tochter Zoë.

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Es war ihre Idee, dass wir gemeinsam zum Konzert von US-Popstar Olivia Rodrigo gehen. Das haben wir jetzt davon, denke ich mir, gleich könnte womöglich auch ich, mit hochrotem Kopf und larger than life, mit meiner Tochter auf dieser Leinwand zu sehen sein. Aber noch bevor ich Fluchtgedanken entwickeln kann – schnell ein Bier holen – legt Rodrigo nach: „Ihr könnt eure Eltern jetzt umarmen – als Dank dafür, dass sie mit euch auf dieses Konzert gegangen sind.“ Auf der Leinwand sehen wir alle jetzt eine glückliche Mutter, die von ihrer Teenager-Tochter geherzt wird. Die Menge jubelt. Und, als ich einen Stoßseufzer der Erleichterung ausstoße, werde auch ich von meiner Tochter umarmt – bin aber erleichtert, dass wir dabei nicht auf dem Riesenschirm zu sehen sind.

Das Verblüffende an diesem Treffen der Generationen zwischen Babyboomern und Gen Z ist, dass es trotz seiner inszenierten Rührseligkeit kein bisschen peinlich wirkt. Die Umarmungsgeste fügt sich wunderbar ein in diesen an großen Gesten nicht gerade armen Abend. Ein anderes Mal singt Olivia Rodrigo ihren Fans die Sterne wenn auch nicht vom Himmel, so doch immerhin vom Hallendach: Da sieht man sie dann, auf einem lila angestrahlten Sichelmond sitzend und singend, wie sie durch ein Meer von Sternen schwebt – über die Köpfe der Zuschauer hinweg. So viel konsequente Kitschigkeit hat fast etwas Erhabenes.

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Olivia Rodrigo, mit 21 bereits dreifache Grammy-Preisträgerin, Streamingrekorde-Brecherin, Klavier- und Gitarre-spielende Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin bietet bei ihrer Berliner Show für jeden etwas. Anything goes: Power-Pop, Grunge, Folk, Balladen und Dancefloor, alles Ohrwürmer, die von ihren Fans in ohrenbetäubender Lautstärke mitgesungen werden. Die Amerikanerin gilt als der Superstar der Generation Z. Nur hatte ich das bis vor Kurzem, ehrlich gesagt, nicht mitbekommen. Das ging nicht nur vielen in meinem Alter so, auch bei meinen nicht repräsentativen Umfragen unter Kolleginnen und Kollegen um die 30, zuckten die meisten nur mit der Schulter, wenn sie ihren Namen hörten: Olivia wer?

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Für meine Tochter ist unser gemeinsamer Konzertbesuch bei Rodrigo eine Art Wiedergutmachung dafür, dass ich sie vor zwei Jahren mal mit zu den Rolling Stones geschleppt hatte. Einmal die Stones sehen, bevor es sie nicht mehr gibt, dachte ich und hielt das für eine gute Idee. Zoë und ich, wir saßen im Innenraum, direkt neben einem Laufsteg, über den der gerade 79 Jahre alt gewordene Mick Jagger gockelte. Als zur Zugabe „Satisfaction“ das ganze Stadion auf den Beinen war, blieb meine Tochter auf ihrem Stuhl sitzen. „Nicht böse gemeint“, sagte sie, aber sie sei nur mitgekommen, um mir eine Freude zu machen. Das Mitsing-Potenzial der Rolling-Stones-Songs fand sie nicht so doll. Und dass sie als eindeutig Jüngste von lauter älteren grölenden und tanzenden Menschen im Stadioninnenraum umgeben war, sei ein bisschen „strange“ gewesen.

Bei Olivia Rodrigo erlebe ich jetzt die umgekehrte Situation. Ich stehe als alter Sack unter sehr vielen, sehr jungen Menschen. Ich bin nur Gast hier, nicht in meiner Peer-Group. Allein unter Teenagern, also: fast allein, wenn man mal von den anderen begleitenden Eltern absieht, die aber in der Minderheit sind. Erleichternd für mich kommt hinzu, dass mir die Songs von Olivia Rodrigo ganz gut gefallen, was Zoë über die Stones-Songs weiterhin nicht behaupten würde. Ist nun mal so. Punkt für den Sound der Gen Z.

Olivia Rodrigo Konzert: Trotz der inszenierten Rührseligkeit kein bisschen peinlich - WELT (3)

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Ich schaue also zu, wie der Star des Abends mit seinen langen schwarzen Haaren headbangt, mit Plateau-Boots immer wieder in die Luft tritt, sich von Tänzerinnen umschwärmen lässt. Ein paar der Songs habe ich mir vorher angehört, damit ich nicht völlig unbedarft in der Halle herumstehe. Bei „Brutal“ schreit sie die Zeilen heraus: „It’s brutal out there, I’m so sick of 17, where is my f*cking teenage dream?“ Es geht um Herzschmerz, Trennung, ständige Vergleiche mit anderen, absurde Schönheitsideale – den Horror des Erwachsenwerdens. Erinnert mich ein bisschen an das von The Who besungene „Teenage Wasteland“ – ewige Themen, immer wieder besungen.

„Alles okay, Papa?“, fragt mich meine Tochter, ein bisschen verunsichert, wenn ich bei manchen Songs mal nicht stehe und dezent mittanze, sondern mich hinsetze, mich umschaue und sinniere, wo und wann ich Ähnliches schon mal gehört und gesehen habe. Da fallen mir dann viele Momente ein: Alanis Morissette, Madonna, Lady Gaga, Avril Lavigne, ja, auch Patti Smith. Alles wilde Empfindsame, die, wie Olivia Rodrigo, über Verletzlichkeit, Wut, und, ja auch, das Recht auf Spaß und Hedonismus gesungen haben. Aber ich behalte die Assoziationen für mich, nichts ist für Teenager so nervig, wie ein Exkurs in die Rockgeschichte.

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„Bei mir gibt es keine Redefreiheit für Hass“

Und dann sitzt Olivia Rodrigo am Piano, spielt ohne ihre Band ihren größten Hit: „Drivers Licence“. Eine Ballade über eine junge Frau, die ihren Führerschein bekommen hat, und die jetzt eigentlich zu ihrem Freund fahren würden. Dumm nur, dass der inzwischen eine andere hat. Der Song erschien 2021, während der Pandemie. Das Lied machte Rodrigo, die zuvor als singende Schauspielerin in Disney-Teenie-Serien wie „High School Musical“ Erfolge hatte, über Nacht zum Weltstar. Für meine Tochter ist Olivia Rodrigo die Stimme der Coronazeit. Eine damals 17-Jährige, die in Zeiten, als Jugendliche nicht in die Schule oder nach draußen gehen konnten, mit ihren Liedern einen Nerv traf – in Zeiten, in denen Konzerte nicht stattfanden. „Ich habe ihre Lieder damals sehr oft gehört“, sagt Zoë. Das ist alles noch nicht so lange her.

Und bei allem, was man über die Lockdowns und deren Folgen gelesen hat, bekommt man erst im Nachhinein eine Ahnung davon, wie stark diese Zeit Teenager zusätzlich verunsichert hatte. Es tut jedenfalls gut, meine Tochter und all die anderen 17.000 zu sehen, wie sie zu den Songs von Olivia Rodrigo mitsingen, mittanzen – mal mit, mal ohne Handy in der Hand. Und es ist irgendwie tröstlich im Nachhinein zu wissen, dass Teenager während der Pandemie eine Stimme wie die von Olivia Rodrigo hörten. Eine Stimme, die Zeilen wie diese sang: „I don’t get angry when I’m pissed, I am the eternal optimist. / Ich werde nicht wütend, wenn ich sauer bin, ich bin der ewige Optimist.“ Das ist nicht die schlechteste Ansage – und eine, die heute so wertvoll ist, wie sie es gestern war und auch morgen noch sein wird.

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